Warum das Attribut "für Rollstuhlfahrer geeignet" untauglich ist

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Groundspeak sieht für Caches ein Attribut vor, das die Eignung des Caches für Rollstuhlfahrer anzeigt. Die meisten von uns sitzen aber selber nicht im Rollstuhl und können nur sehr schwer einschätzen, was möglich ist und was nicht.

Caches können sehr vielfältig sein. Die Gründe, warum man auf einen Rollstuhl angewiesen ist, auch. Was für den einen Rollstuhlfahrer problemlos machbar ist, ist für den anderen ein Ding der Unmöglichkeit. Und das ist auch der Grund, warum auch dieser Artikel keine exakte Aussage treffen kann, was den nun geht oder eben nicht. Ob ein Cache nun für Rollstuhlfahrer geeignet ist oder nicht. Weil diese Aussage eben nicht zu treffen ist.

Was lag also näher, als zu diesem Thema mal theRabbits - Katja und Jörg - zu kontaktieren und zu ihren Erfahrungen zu befragen. Es handelt sich dabei um Tochter und Schwiegersohn eines SOCCen-Paars, nämlich der Doemis.

Die Idee zu diesem Artikel kam nach dem Podcast #046 der "Schweigenden Mehrheit" auf. Ein kurzer E-Mail-Verkehr mit D-Buddi folgte und schon gingen die Fragen an Katja und Jörg. Wir möchten uns hier ganz herzlich für die Antworten bedanken.

Jörg ist seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmt - Tetraplegie. Das heißt: Querschnittlähmung im Halswirbelbereich, damit sind auch die Arme und Hände teilweise gelähmt. Das hat dann eben auch Konsequenzen in Bezug auf Dosenöffnen, Logs schreiben usw. Trotzdem gehen die beiden regelmäßig cachen. Und wer die beiden kennt, weiß, das manche Ihrer Cache-Erzählungen eine ungläubige Zwischenfrage wie "Ihr habt WAS gemacht?" provozieren.

Der Strothmann und ich haben uns nun zusammengetan und haben den beiden ein paar Fragen gestellt. Die Antworten sind von Katja, da Jörg so seine Probleme mit dem Tippen hat.

 

Welche Rolle spielt das Attribut "Für Rollstuhlfahrer geeignet" bei Eurer Tourplanung?

Es ist ja wirklich so, daß man das Attribut in die Tonne klopfen kann, weil es so verschiedene Behinderungen gibt. Wir schauen schon gar nicht mehr  drauf, weil es meistens sowieso nicht stimmt. Manchmal ist es mir auch schon so ergangen, daß ich ohne Jörgs Rollstuhl gar nicht an den Cache drangekommen wäre :-). Hab ihn einfach als Leiter benutzt!

Ich schätze aber mal, Jörg ist da die Superausnahme. Die meisten haben ja noch Fingerfunktion und Querschnittlähmungen können auch inkomplett  sein, d.h. manche können vielleicht schon aufstehen / gehen. Bei manchem ist ja auch nur eine Seite betroffen, z. B. bei älteren Cachern nach Schlaganfällen vielleicht. Ist also ziemlich unterschiedlich, deshalb  finden wir es am Besten, wenn im Listing möglichst genau steht, was einen  bei dem Cache erwartet. Dann kann jeder selbst entscheiden, ob er den Cache angeht oder nicht. Weil manchmal haben wir auch Bock auf Extreme-Wheelchairing (Eigenkreation), wo wir dann einen probieren, der sich so anhört als ob´s nicht geht und dann schaffen wir ihn doch! War schon manchmal extrem anstrengend, aber macht ja auch Spaß. Muß man aber halt nicht jedes Mal haben. Das finde ich übrigens die größte Fehleinschätzung bei Nichtbehinderten, daß sie meinen, zu wissen, was jemand schaffen kann. Die meisten meinen ja schon, daß man mit einem Rollstuhl nicht mal über eine Wiese fahren kann  …

 

Welche Informationen im Listing wären für Euch wichtig?

Länge, Wegbeschaffenheit, Steigung und mögliche Hindernisse wären gut. Das wäre ja auch für Cacher mit Kinderwagen und Radfahrer interessant. Es gibt aber eine eigene Homepage: Handicaching.com, wo man den Cache ausführlich in Bezug auf Rollstuhltauglichkeit bewerten kann. Dann verlinkt man den Cache mit dieser Plattform. Jeder, der den Cache dann gefunden hat, kann auch seine eigene Wertung eingeben. Das System bildet dann daraus einen Durchschnitt, zeigt aber auch jede einzelne Wertung an. So kann man relativ gut sehen, ob der Cache für einen selber geeignet ist oder nicht. Leider wird das aber kaum benutzt.

 

Hat er zum Cachen einen speziellen Rollstuhl?

Er benutzt meistens das Handbike (mit Motorunterstützung). Damit ist er einfach selbstständiger. Ist das wichtigste Hilfsmittel für uns! Durch  das große Rad vorne rollt man bei unebenem Boden über alles drüber und der Motor zieht auch Steigungen schön hoch.

Nachtrag 29.10.2013: Das hier erwähnte und auf den Bildern zu sehende Handbike ist ein Vorsatzgerät, welches am normalen Rollstuhl befestigt wird (Adaptiv-Handbike). Wenn Ihr die Bilder genau anschaut, könnt Ihr den normalen Rollstuhl erkennen. Das Handbike erhöht dabei die Geländegängigkeit des Rollstuhls. Das von Jörg hat dabei noch einen Motor zur Unterstützung.  (Nuffy66)

 

Geht Jörg auch alleine Cachen?

Wir gehen eigentlich immer zusammen cachen, Jörg geht auf jeden Fall nicht alleine. So groß ist seine Begeisterung dann auch nicht. Ihm ist es auch nicht wichtig, die Dose zu finden, sondern „der Weg ist das Ziel“! Alleine wäre aber auch quasi unmöglich aufgrund der Einschränkungen an  den Händen. Oder möchtet Du einen Petling mit den Zähnen aufdrehen?  Höchstens als FTF ;-)

 

Wie muß der Weg zum Cache beschaffen sein, damit es noch geht?

Geteert, gepflastert, aber auch Waldwege ohne große Wurzeln, ausgefahrene Spuren, Riesenschlammpfützen und nicht zu steil. Gerne werden auch Hinweise auf alternative Wege genommen, die Einheimischen kennen sich ja meist besser aus. Mit Oregon und Kartenmaterial ist es ja auch schon einfacher eine schlechte / steile Stelle zu umgehen. Aber wie gesagt, wir sind auch schon Steigungen im Schneckentempo hoch mit letzter Kraft,  durch Matsch und Dreck, da hab ich die Räder erst mal in einem Bach abgewaschen. Oder in so einer ausgefahrenen Spur ist Jörg auch mal umgekippt oder einmal hab ich ihn über einen Baumstamm gezogen, war beim Sturm umgefallen. Soviel zum Thema, was geht zu zweit? Mehr als die  meisten sich vorstellen können. Aber so eine Frau hat ja auch nicht jeder :-)

In unserem Profil hatte ich mal Kriterien für „rabbitsproofed“ Caches aufgeschrieben: Cache oder Stationen in der Nähe des Weges (ca. 20 bis 50m), so kann ich einen besonders kreativ gestalteten auch mal zu Jörg bringen und ihm zeigen, wie gesagt, muss er ihn nicht in der Hand gehabt haben um glücklich zu sein :-)

 

Wie steht es mit T5ern?

Es gibt bestimmt Rollifahrer, die sich auf einen Baum hochziehen lassen würden. Jörg eher nicht :-) Das kommt auf die Behinderung an, aber auch auf die Abenteuerlust! Terrainwertung: Ab 2.5 - 3 Sterne wird’s schwierig. Man kann sich aber auch in ein Boot setzen oder Tauchen, kommt eben auf die Person an.

 

Worauf soll ich achten, wenn ich einen Cache für Rollstuhlfahrer legen will?

  • Wegebeschaffenheit / Steigung und Länge genau im Listing angeben oder Alternativen für den Rollstuhlfahrer reinschreiben, lieber einen Umweg in Kauf nehmen als gar nicht hinkommen.
  • Cachehöhe in cm (ist natürlich ein Spoiler!). Deshalb find ich auch den Link auf handicaching.com gut, da ist alles beschrieben, aber Fußgänger klicken in der Regel nicht drauf…
  • Stationen / Final sollten natürlich möglichst nah am Weg liegen, wahrscheinlich gehen die allermeisten sowieso nicht alleine, so können sie wenigstens mit den Augen mitsuchen, Aufgaben sollten in der Dose platziert sein, so daß man sie zu dem Rollifahrer bringen und dann gemeinsam lösen kann. Hatten  wir mal mit so elektronischem Spielzeug, wo man versch. Steckerpositionen ausprobieren musste. Allerdings nicht an einer vermuggelten Stelle, weil man fällt eh schon mehr auf. Haben wir aber auch schon als Tarnung benutzt: Jörg fährt mit dem Bike in die andere Richtung, alle Blicke folgen ihm, ich greife schnell zu!
  • Jörg mag auch keine ellenlange Rechnungen, um zur nächsten Station zu kommen (zumindest im Winter), weil ihm schnell kalt wird (ich auch nicht, weil ich mich so oft verrechne) oder eben Powertrails, wo man ständig rumsteht und loggt. Also Aufgaben, die schnell ables- und lösbar sind wären gut. Geht aber bestimmt vielen so…

Was auch nett war bei einem Nachtcache: Wo Jörg nicht mit konnte, ist der Owner mit Jörg zu einer Stelle gegangen, an der wir vorbei mussten und dann haben die uns erschreckt!

 

Loggst Du Caches, die nicht als rollstuhltauglich eingestuft sind, und die du trotzdem erreichen konntest auch so, daß der Owner es mitbekommt, das Du Rollstuhlfahrer bist?

Ich schreibe meist schon perfekt rollstuhlgeeignet dazu, wenn´s so ist oder frage: Warum kein Rollisymbol?

 

Gehst Du als Rolli auch auf Events? Wie wird man aufgenommen?

Klar gehen wir auch auf Events. Aufgenommen wird man ganz normal. Wie immer, d.h. von mitleidigen Blicken bis aufdringlichen Fragen ist alles dabei :-) Es gibt schon noch viele Vorurteile, aber das betrifft andere Randgruppen genauso, z. B. erzählte eine dunkelhäutige Cacherin, daß manche sich zuerst nur mit ihrem Partner unterhalten und dann ganz erstaunt sind, daß sie Deutsch spricht! Die meisten Leute sind halt unsicher und sagen dann gar nichts. Das beste war bei dem Cache als Jörg umgekippt war und auf dem Boden saß: Da kamen 2 Cacher vorbei, haben angestrengt ins GPS geschaut und wollten schon vorbeigehen! Dann hab ich sie halt angesprochen und dann waren sie auch total nett und haben geholfen.

 

Es soll angeblich Owner geben, die einem Rollstuhlfahrer den Log löschen, da dieser selbst nicht an der Dose sein konnte (z.b. 3 Meter Höhe), sondern den Partner, das Kind usw. loggen ließen, ist das schonmal passiert?

Nein. Wir loggen eh als Team und davon sitzt ja nur einer im Rollstuhl.

 

Euer schönster / miesester Cache?

Schwer zu beantworten, weil das hat eigentlich nichts mit Rollitauglichkeit zu tun. Wir machen am liebsten Multis oder Tradis, wo man ein bisschen laufen muss und nicht alle 160m stehen bleiben, um zu loggen. Die Orte sollten auch interessant sein und nicht den Altkleidercontainer des Dorfes zeigen… Jörg löst auch gerne zu Hause die knackigen Mysteries, umso besser, wenn wir das Final dann gemeinsam angehen können.

Stolz waren wir schon, als wir den 100-Kilometer-Fahrradmulti gelöst haben (in mehreren Tagen, aber egal). Oder einen Cache, der normalerweise sehr matschig ist. Den haben wir dann bei -8°C und Neuschnee gemacht. Da konnte man prima über den gefrorenen Matsch fahren. Bei dieser Gelegenheit kam uns auch der Einfall mit der neuen Sportart Extrem-Wheelchairing! So hätten wir dem Förster unseren Aufenhalt bei dem Wetter an dieser Location erklärt :-).

 

Besondere Ausrüstung?

Handbike, Beinschutzdecke, warme Klamotten, weil man im Sitzen schneller auskühlt, s.o.

 

Kurzer Nachtrag: Handicaching.com wird von Groundspeak als "approved link" geführt. Das Einbinden in das Listing ist also problemlos möglich. Danke für die Info an tabula.rasa



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